Foto: Gaëtan Bally
Saisonabschluss 2021/22

Adieu und alles Gute, liebe Kolleg*innen!

Wir verabschieden drei Orchestermitglieder in den Ruhestand: Esther Pitschen, zweite Flötistin und Piccolistin seit 1991, Felix-Andreas Genner, stellvertretender Solo- und zweiter Klarinettist seit 1991 und Simon Styles, Tubist seit 1982. 

Esther, Felix und Simon haben zum Abschluss ihrer Laufbahn einen Fragekatalog beantwortet. Sie blicken in ihren Antworten auf viele Jahre im Tonhalle-Orchester Zürich zurück und teilen besondere Momente.
Merci! Wir werden euch vermissen.

Felix-Andreas Genner, Paavo Järvi, Simon Styles, Esther Pitschen

Sternstunde auf/hinter der Bühne:

EP: Da gibt es natürlich so einige… als ich (noch im Probejahr) zum ersten Mal mit David Zinman spielen durfte, hatte ich das Gefühl: mit diesem Dirigenten kannst du nicht aus dem Takt kippen, was natürlich extrem viel Vertrauen gab. Oder Mariss Jansons, der mitten in Richard Strauss' «Heldenleben» einfach aufhörte zu dirigieren. Das war einer der seltenen Momente des Orchesterflows…

FG: Mahler mit Paavo Järvi.

SS: So viele, dass es fast unmöglich ist, eine herauszupicken. Sicher waren da die Mahler-Aufnahmen mit David Zinman. Oder die Aufführung alle Brahms-Sinfonien in zwei Programmen mit Wolfgang Sawallisch, die Konzerte mit Mariss Jansons, besonders das «Heldenleben» und viel früher Mahlers Zweite. Alles, was Kurt Sanderling bei uns dirigiert hat, jedes Konzert mit ihm war ein Erlebnis auf höchstem spirituellen Niveau. In der jüngeren Zeit bestimmt die Rückkehr in die Tonhalle mit Mahlers Dritter unter Paavo.

Schönster Moment:

EP: Beim Abschied nach dem letzten Konzert zu spüren, dass meine (mehr oder weniger) langjährigen Kolleg*innen längst Freund*innen geworden sind.

FG: Mozart mit Bernard Haitink.

Berührendster Moment:

EP: Ich weiss es nicht. Es gab viele, mir gingen viele Konzerte und Begebenheiten sehr nah. Vielleicht das Abschiedskonzert mit David Zinman an den Proms in London, das gleichzeitig auch das Abschiedskonzert für meinen Flötenkollegen nach 23 gemeinsamen Jahren im Orchester war.

FG: Bruckners vierte Sinfonie mit Herbert Blomstedt.

Schrägster Moment:

EP: Bei meinem Probespiel am 1. Februar 1990 waren wir zu dritt in der letzten Runde (zwei Männer und ich). Die Warterei auf das Ergebnis war für uns so endlos, dass wir beschlossen, egal was jetzt kommt, wir spielen nicht mehr (es war auch schon nach 17 Uhr…), es soll einfach einer die Stelle bekommen, egal wer! Das Ergebnis erfuhren wir dann sehr unerwartet, weil nämlich ein Orchestermitglied ziemlich wütend in unseren Warteraum rief: «Ich wollte imfall keine Frau!!» Er war einer meiner liebsten Kollegen später.

FG: Ständig die falsche Klarinette in der Hand, weil der «Dreispitz» von Manuel de Falla mit seinen vielen Wechseln zwischen A- und B-Klarinette rückwärts geprobt wurde…

Schock!!

EP: Um 18:45 Uhr klingelt das Telefon: «Du musst kommen, Günter ist krank!» Das Konzert begann um 19.30 Uhr, ich hatte mindestens eine halbe Stunde Stunde Weg bis zur Tonhalle und war gemütlich am Abendessen. Einspringen auf der ersten Flöte mit einem sch… schwierigen Programm!

FG: Mein Kollege vergass seine A-Klarinette nach der Konzertpause, so nahm er meine, ich habe ad hoc den vierten Satz von Tschaikowskys erster Sinfonie transponiert in A auf der B-Klarinette gespielt.

Musik, die mir ewig nachgelaufen ist…

EP: Eigentlich jedes Programm, ausser Uraufführungen ;-)

SS: «Carmina Burana» läuft mir noch immer hinterher!

FG: Die späten Schubert-Sinfonien.

Solche, die ich kaum einzustudieren geschafft habe:

FG: Das Bläserquintett von Esa-Pekka Salonen und auch die John-Adams-Werke in der vergangenen Saison.

Unvergessliche Begegnung:

EP: Jede mit Herbert Blomstedt, er ist immer gut gelaunt, immer auf dem Punkt und er musiziert mit viel Fleisch am Knochen, das heisst, wir dürfen so richtig von innen heraus Musik machen, weil er das auch tut.

Drei Lieblingskomponisten:

FG: Mozart, Schubert, Messiaen.

Drei Lieblingswerke:

EP: Schwierig, es gibt viele! Zum Spielen auf jeden Fall Mendelssohns Schottische Sinfonie, Mozarts Klavierkonzerte, die sinfonischen Werke von Richard Strauss. Zum Hören Händels «Feuerwerksmusik» und Bernsteins «West Side Story». Im Grunde höre ich selten Musik, ich mache sie lieber selber.

SS: Mir fallen so viele ein… Wie wäre es damit: Ralph Vaughan Williams neunte Sinfonie, Sibelius' vierte Sinfonie und Schostakowitschs dreizehnte Sinfonie.

Verpasster Einsatz:

SS: Bei unserer letzten Tournee mit Paavo in den Fernen Osten spielten wir in der tiefsten Provinz in China unter anderem mit Yuja Wang Rachmaninows zweites Klavierkonzert. Wir kommen an, essen und haben eine Probe, in der vorwiegend Programme ohne Tuba einstudiert werden. So gehe ich davon aus, dass diese am Anfang des Konzerts gespielt werden… Wir ziehen uns um, ich plaudere mit meinen Kolleg*innen und schreibe hinter der Bühne an meinem Reiseblog, während die anderen auf die Bühne gehen. Von weit her höre ich die tiefen Akkorde, ich denke erst: «Oh Yuja spielt sich ein»; der solistische Einstieg wird aber lauter und lauter. Dann fängt das Orchester an…ohne mich.

Mein Publikum mag ich besonders, …

EP: …wenn es an lustigen Stellen lacht.

FG: …wenn es so konzentriert ist, dass wir es auf der Bühne fühlen können.

SS: …wenn es manchmal den Atem anhält vor Spannung (ja, wir spüren das im Orchester…). Und wenn es konzentriert ist, dann wissen wir Musiker*innen, dass alle dabei sind. Ich mag es auch, wenn nicht sofort applaudiert wird, sondern wenn wir die magischen Sekunden am Ende in der Stille miterleben.

Mir fällt eine lustige Anekdote ein:

EP: Claus Peter Flor ist ein Dirigent, der es direkt mag. Einmal war ich die Zielscheibe seiner Kommentare, gefühlt schon den ganzen Morgen. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich fragte, ob ich denn hier die einzige sei, die in seinen Augen solchen Schrott spielt. Er meinte darauf etwas verdattert: «Aber nein, ich spreche Sie doch hier stellvertretend für alle Holzbläser an, Sie sind doch die Registermutter!» Dies bekam ich noch Jahre zu hören…

FG: Jakub Hrůša erzählte von seiner Hochzeit, welche Musiker*innen aus seinem Orchester eine Polka von Smetana gespielt hätten, die wir gerade dabei waren zu proben. Ich warf ein, dass beim nächsten Mal einige von uns mitspielen würden…

SS: In einer Probe zu «Carmina Burana» mit Paavo bei einem Fortissimo mit heiklem, hohem solistischen Ges.
Paavo: Kannst du das lauter spielen?
Stylesy: Ja, aber es ist mit einem gewissen Risiko verbunden.
Paavo: Spiel mal, bitte.
Stylesy: (Spielt recht laut).
Paavo: Lauter, bitte.
Stylesy: (Spielt nochmals. Tödlich laut.)
Paavo: Danke. Geht es irgendwo dazwischen?
Stylesy: Sicher. Was möchtest du? Guten Geschmack oder angrenzend schlechten Geschmack?
Paavo: Angrenzend schlechten Geschmack, bitte.
Stylesy: Okay, meine Spezialität…

Tschüss liebe Orchesterfamilie!

EP: Tragt Sorge zueinander.

FG: Die Arbeit mit euch hat mir vorwiegend viel Freude gemacht.

SS: Ich werde euch vermissen.

Tschüss liebes Publikum!

EP: Geniesst alles in diesem schönen Gebäude, und von mir aus dürft ihr gerne auch mal am falschen Ort klatschen.

FG: Ich werde mich gelegentlich unter euch mischen!

SS: Ich werde euch vermissen.

Aufgezeichnet von Melanie Kollbrunner

veröffentlicht: 14.07.2022